PHILIPS hat Liebhaber klassischer Musik mit Zwei-in-Einem-Sets
beglückt. Dabei sind, abgesehen vom Sparpreis, die Aufführungen
als erstklassig zu betrachten und die Tonqualität ist ebenfalls
exzellent. Ich war ganz besonders darüber erfreut, dass einige dieser
Sets von Werner Haas waren, der 1976 bei einem tragischen Auto-
unfall ums Leben kam. Haas hat offensichtlich nie in den USA
gespielt, aber er gewann europäische Preise für seine Aufnahmen
einschließlich des Grand Prix du Disque für seine Einspielungen
von
Debussy und Ravel.
Als
Schüler von Walter Gieseking hat Haas nie die Berühmtheit
seines Lehrers in diesem Repertoire erreicht. Doch warum das so
ist, ist unverständlich, denn seine Aufnahmen bezeugen ihn als
einen erstklassigen Musiker mit einer der herausragendsten Klavier-
techniken dieses Jahrhunderts; man höhere z. B. nur L'Isle
Joyeuse oder die Etudes. Haas ist ein moderner Debussy-Spieler,
der durch seinen schönen, strahlenden Ton mit dem Nebel in
Stücken wie Réflets dans l'eau pour le piano und La cathédrale
engloutie aufräumt, und Minstrels und Golliwog´s cake walk
zeigen
deutlich, dass Haas selbst den Flügel zum Lachen bringen vermag.
Vol. II enthält dann seine ausgezeichnete Darbietung der Klavier-
musik zu vier Händen (mit Noel Lee).
Haas
spielt genau so flüssig im Ravel-Set (Philips 2-438353) und
bringt die großartigste Wiedergabe von Jeux d'Eau, die ich jemals
gehört habe. Es sind, allerdings zu vollem Preis, feinere Wieder-
gaben von Gaspard de la Nuit und Miroirs zu haben, siehe
Minoru
Noijama in Reference (allerdings zum vollen Preis) und Jean-Yves
Thibaudet auf London. Doch Werner Haas entzieht sich damit der
kristallenen Klarheit seines Touches und seiner rhythmischen Vita-
lität jeglicher Kompetition durch Pascal Rogé und Jean Philippe
Collard. Das Monte Carlo Opera Orchestra spielt dazu voller Enthu-
siasmus, ermangelt jedoch der Subtilität und Schönheit des Montreal
Symphony Orchesters.
Im Tchaikowsky Konzert-Set spielt Haas mit einer tief inneren
Sicherheit, welche Mikhail Pletnev auf Virgin Classics (ebenfalls
zum vollen Preis) ebenbürtig ist. Auch hier ist Haas begleitet von
Monte Carlo Orchestra. Es ist scheinbar das einzige Orchester, mit
dem er je zusammen aufgenommen hat, und es zeigt leider da und
dort gelegentlich eine gewisse Derbheit.
In
"The Best of Mendelssohn" spielt Haas das Rondo Capriccioso,
die Variations Serieuses und eine Auswahl aus den Liedern
ohne
Worte. Diese Variations entsprechen absolut der hochgerühmten
Darbietung von Emil Gilels Eroica-Variationen. Außerdem habe
ich
noch niemals diese Lieder ohne Worte - nicht einmal von Barenboim
oder Schiff - mit solch ungekünstelter Einfachheit und Freude
spielen hören. Und die Triller im Venedischen Gondellied sind
schon
allein für sich eine Schönheit.
Vor
einigen Jahren veranlasste AUDITE eine Gedenksendung
von Radioübertragungen mit Werner Haas. Dieter Schon schrieb in
den Begleittexten, dass Werner Haas einer der "ausgeglichensten,
liebenswertesten und uneitelsten Klassepianisten" gewesen sei.
Wohl auch einer der am meisten unterschätzten!
James
Harvey