Werner Haas - Hommage

Auf einem Prospekt der niederländischen Konzertdirektion J. Beek in Den Haag, auf dem in der Saison 1967/68 >>Vier Meesters an het Klavier<< angekündigt waren, stand neben den Namen Arthur Rubinstein, Nikita Magaloff und Rudolf Firkusny auch der des Stuttgarter Pianisten Werner Haas. Schon als dreizehnjähriger hat er von sich reden gemacht, nachdem er einen Wettbewerb in Stettin gewann und öffentlich aufgetreten war. Es sollte jedoch der einzige Wettbewerb seines Musiklebens bleiben: Seinem bescheidenen und zurückhaltenden Naturell lagen internationale, ins inflationistische neigende Wettbewerbe nicht. In aller Stille reifte in ihm ein großer Interpret heran, um die Welt ohne Teilnahme an den fragwürdigen Preisgebahren von heute zu erobern. Seine eigenen Worte bei einem Interview mit Ingo Harden in FonoForum Heft 7/1969 geben einen Einblick in das Charakteristikum des Menschen Werner Haas: >> Schon als kleines Kind habe ich mit dem Klavier spielen angefangen - aber ist das nicht bei allen Pianisten so? << Ob jemand als >>Wunderkind<< bekannt geworden sei, würde davon abhängen, ob die Eltern öffentliche Auftritte ihres Kindes zugelassen haben. Sein Leben sei >>ganz normal<< verlaufen. Als Kind sei er nicht mit Macht zum Pianisten getrimmt worden - er habe überhaupt wenig reine Technik exerziert. Dann, von 1947 bis 1954, habe er ein >>ganz normales Studium<< an der Stuttgarter Musikhochschule absolviert, bei Lilli Kröber-Asche. Ob diese Pianistin, die sich sehr für die Wiedergabe der Klaviermusik Mozarts auf dem alten Hammerflügel eingesetzt hat, ihn auf diese historische Bahn gelenkt habe? Nein, durchaus nicht. Er gehöre auch heute nicht zu denen, die grundsätzlich alte Musik auf historischen Instrumenten hören wollten und behaupten, Bach müsse unbedingt auf einem Cembalo gespielt werden. 1954 ging Haas zu Walter Gieseking nach Saarbrücken, um sich bei ihm den berühmten >>letzten Schliff<< zu holen. Giesekings künstlerische Domäne war die Musik Debussys und er war auch in Frankreich unbestritten als der bedeutenste Debussy-Spieler bekannt. So war es ganz natürlich, daß die Pariser Presse nach dem erfolgreichen, gerade mit Debussy erfolgreichen Haas-Debüt auf das Lehrer-Schüler-Verhältnis hinwies. >>Aber ganz so einfach liegt der Fall nicht. Ich habe Debussy schon mit sechzehn Jahren zu spielen begonnen und mich seitdem immer besonders für seine Musik interessiert. Gieseking habe ich in seinen Meisterkursen, bei denen er immer ungefähr zehn Schüler um sich versammelte, auch Debussy vorgespielt, und ich darf sagen, daß er nie etwas grundsätzliches daran zu bemängeln gehabt hat. Aber: Ich kam mit fertig ausgearbeiteten Stücken bei ihm an!<<


1935 - Der Pianist im Alter von 4 Jahren

Nun läßt sich die Spielweise von Werner Haas keineswegs auf eine besondere stilistische Einengung festlegen. Die unaufdringliche Selbstverständlichkeit des manuellen wird ohne viel Aufhebens mit exzellenter Virtuosität und lockerer Hand serviert. Haas selber war nicht darauf erpicht, auf französische Impressionisten festgelegt zu werden. >>Ich glaube, daß mir vieles liegt<<, sagte er im genannten Interview - und das Wort war sicher nicht leichtfertig dahingesagt. Er habe lange gezögert, in seine Toccaten-Platte mit fünfzehn Komponisten aus drei Jahrhunderten die große Schumann-Toccata aufzunehmen. Den von ihr gäbe es die Einspielung von Sjatoslaw Richter, die für dieses Werk sicherlich ein Nonplusultra sei.
Die umfassende Diskographie des Meisterpianisten Werner Haas mit Werken von Chopin, Ravel, Debussy, Beethoven, Tschaikowsky, Rachmaninoff, Mendelssohn, Brahms und Gershwin verdanken wir dem damaligen Direktor der Philips Paris, Igor B. Maslowski, der nach einem >>Concert des Jeunes<< 1958 in Paris Werner Haas mit Debussy-Klavierstücken hörte und tags darauf einen langfristigen Schallplattenvertrag mit ihm abschloß. Nach der Gesamtaufnahme der Werke von Debussy erhielt er den Grand Prix du Disque und 1970 den Amsterdamer Edison-Preis für die Einspielung des Klavierwerkes von Ravel.
In den Musikhochburgen Europas feierte Werner Haas Aufsehen erregende Klavierabende wie auch Klavierkonzerte mit dem Stuttgarter Kammerorchester unter Prof. Karl Münchinger, den Berliner Philharmonikern, den Rotterdammer Philharmonikern unter Franz-Paul Decker, mit Milan Horvats Zagreber Philharmonie, dem Philharmonischen Orchester von ORTF Paris und Willem van Otterloos Residenz-Orchester Den Haag sowie dem Orchester der Tonhalle Zürich. Mit dem Frankfurter Radioorchester unter Elialu Inbal wurden Plattenaufnahmen von
Rachmaninoff eingespielt.


1947 als jüngster Student der staatl.
Hochschule für Musik in Stuttgart

Die Rezensenten stellten Werner Haas in die führende Reihe der großen Pianisten unserer Zeit. So schrieb Erich Herrmann am 2.Februar 1956 >>Trotz seiner Jugend darf man Werner Haas getrost als Meisterpianisten bezeichnen. Man glaubt, das viel gespielte Werk (Tschaikowsky´s b-moll-Klavierkonzert) kaum so überwältigend, so hinreißend gehört zu haben wie von diesem jungen Pianisten. ... was das Besondere, das Große am Spiel von Werner Haas ausmachte, war die absolute Einheit von Werk und Wiedergabe ...
Er hat jene Tongebung, jenen Anschlag, dem das schwebendste Piano ebenso erreichbar ist wie das dröhnendste, klingendste Fortissimo ... Ein Erlebnis, das zu den stärksten gehört, die man im Konzert haben kann!<<
>>Eine pianistische Sensation<< bezeichnen die Stuttgarter Nachrichten den Klavierabend von Werner Haas am 7.Februar 1960 und von den Chopin-Etuden opus 10: >>... Die gestochene Virtuosität erlaubt Werner Haas die folgenden Etuden tempomäßig an den Rand des Möglichen zu rücken. Man zieht unwillkürlich Vergleiche zur Elite der Chopin-Spieler, aber es ist vielleicht nur einer, der über dieselbe Souveränität des technische und geistigen verfügt: Claudio Arrau.<<
Die Einspielung der 14 Walzer von Chopin kommentierte highfidelity im Januar 1961 so: >>... Bei der Wiedergabe dieser Walzer folgt ein Höhepunkt dem anderen, erregendste Auflage der Walzer seit Lipatti<<.
Im Jahr zuvor, am 6.November 1960 schrieb die Herald Tribune, New York, über Debussy: >>Das Spiel von Werner Haas offenbart die Gewißheit auf eine große Zukunft. Gieseking hat einen Nachfolger. In Anschlag, Nuancierung, Einfühlungsvermögen und Vornehmheit des Stils ist Haas jetzt schon ein Meister<<. In Saturday Review, New York, war am 29.Oktober 1960 über die gleiche Werke zu lesen: >>Werner Haas hat ein geistverwandtes, fließendes Gespür für die ausgewählten Werke, ausgesprochen klarer Anschlag, der die Melodie zum Höhepunkt führt und den Ton weiterklingen läßt. Das Klavier wird zum singenden Instrument.<< Nach einem Klavierabend in Wigmore Hall´s, London, schrieb The Times am 13.November 1967: >>Wie hob sich seine Interpretation vom Durchschnitt ab, welch lebendigen und brillanten Stil hatte sein Debussy- und Ravel-Spiel mit all jener fantasievollen Gewandheit eines Pianisten, der geboren schien für französische Musik.<< Am 3.Juli 1970 las man in Gente, Milano: >>Die Academie du Disque, Paris, konnte nicht einen Moment des Zweifels an ihrer Wahl haben: Die glühende Fantasie, die meisterhafte Beherrschung des Anschlages und der Reichtum der Klangfarben, mit denen Werner Hass diese Werke darbietet, sind wahrhaft außergewöhnlich. Wir machen alle Musikliebhaber auf dieses Debussy-Album aufmerksam: Ein Grand Prix, der, versehen mit den Argumenten höchster künstlerischer Qualität, in der mondialen, diskographischen Produktion dieses Jahres ein besonderes Gewicht hat.<<



Über seine Interpretation von Mozarts Klavierkonzert Es-Dur KV 449 äußerte sich der Kritiker Dieter Schorr wie folgt: >>Werner Haas spielte ... mit einer adäquaten Schlichtheit, die den prädestinierten Mozart-Interpreten verriet. Die überaus geschmackvolle, unverspielte, dynamisch gezügelte und technisch blank geputzte Wiedergabe demonstrierte zudem vorbildliche Korrespondenz mit Münchingers Streicher<<. Schließlich sei noch Jaqueline Thuilleux in Le Figaro, Paris, nach einem Klavierabend des Pianisten im Dezember 1974 zitiert: >>Unter der Flut von Pianisten, die täglich die Konzertsäle überschwemmen, kenne ich nicht viele, welche die brillante Technik und lächelnde Autorität von Werner Haas besitzen, der die Zuhörer in eine erfrischende Euphorie zu versetzen vermag. Von den 17 Variations seieuses von Mendelssohn ist man auf Anhieb hingerissen durch seine Gelöstheit, durch die betörende Schönheit des Klanges und durch das Aufblühen dieser Musik, vorgetragen mit einer Schlichtheit, die den Vorzug des begnadeten Künstlers darstellt. Dann folgen Mozart und Beethoven. Eine Appassionata, mehr mitreißend als beunruhigend mit einem im Presto-Finale gnadenlos hingeworfenen Balance-Akt, der Gershwin und die Welt des Jazz heraufbeschwört. Mit seiner durchsichtigen Klarheit, die nicht den Schatten einer Verzögerung aufkommen läßt, ist Werner Haas in der Tat ein erregender Interpret Prokofieffs und Ravels. Das hindert ihn aber nicht, Chopin singen zu lassen in einer zauberhaften Lyrik und dem Carnaval von Schumann eine rauschende Interpretation zu verleihen, wiewohl nach meinem Geschmack mit etwas zu freien rhythmischen Schwankungen<<.


1946. Die Paradedisziplin des Pianisten:
100m Hürden. Er wurde in diesem Jahr
1. Sieger im Dreikampf seines Bundeslandes.

Sein von Musik reich erfülltes Leben wurde durch einen tödlichen Autounfall am 11.Oktober 1976 bei Nancy, Ostfrankreich, durch frontalen Zusammenstoß mit einem riesigen Lastzug, dessen Fahrer vermutlich übermüdet war, ohne eigenes Verschulden jäh beendet. Wenige Tage zuvor spielte er in Caen bei Paris einen unvergesslichen Klavierabend und als letzte von vielen Zugaben die Chopin-Etude opus 25, No. 12 in c-Moll. Die stehend applaudierenden Zuhörer erlebten eine überwältigende Wiedergabe dieser Etüde, von der Werner Haas danach sagte: >>So und nicht anders muß diese Etüde gespielt werden!<<

Ist es außergewöhnlich, daß auch 25 Jahre nach seinem Tod jährlich bis zu 100.000 LPs, CDs umd MCs aus aller Welt bei der Nachfolgefirma von PHILIPS angefordert werden?
Im März 1995 schrieb der amerikanische Musikkritiker, James Harvey, in der Platten-Zeitschrift Classic Tracks, St. Louis,: >>P'HILIPS hat Liebhaber klassischer Musik mit Zwei-in-Einem-Sets beglückt. Dabei sind, abgesehen vom Sparpreis, die Aufführungen als erstklassig zu betrachten und die Tonqualität ist ebenfalls exzellent. Ich war ganz besonders darüber erfreut, daß einige dieser Sets von Werner Haas waren, der 1976 bei einem tragischen Autounfall ums Leben kam. Haas hat offensichtlich nie in den USA gespielt, aber er gewann europäische Preise für seine Aufnahmen einschließlich des Grand Prix de Disque für seine Einspielung von Debussy und den Edison-Preis für Ravel-Werke.
... Seine Aufnahmen bezeugen ihn als einen erstklassigen Musiker mit einer der herausragendsten Klaviertechniken dieses Jahrhunderts. Man höre z.B. nur L´Isle Joyeuse oder die Etudes. Haas ist ein moderner Debussy-Spieler, der durch seinen schönen, strahlenden Ton mit dem Nebel in Stücken wie Rèflets dans l´eau pour le piano und La Cathèdrale engloutie aufräumt und Minstrels und Golliwog´s cake walk zeigen deutlich, daß Haas selbst den Flügel zum Lachen bringen vermag. Haas bringt die großartigste Wiedergabe von Jeaux d´eau, die ich jemals gehört habe. ... Er entzieht sich mit der kristallenen Klarheit seines Touches und seiner rhythmischen Vitalität jeglicher Kompetition durch Pascal Rogé und Jean-Philippe Collard. ... Die Lieder ohne Worte (von Mendelssohn) habe ich noch niemals mit solch ungekünstelter Einfachheit und Freude spielen hören. Und die Triller im Venezianischen Gondellied sind schon allein für sich eine Schönheit<<.
..................................................................Hans Sautter